Jan
Bei meinen täglichen Besuchen bin ich immer wieder mal mit Ärzten, Schwestern, Pflegern und Therapeutinnen im Gespräch, aber EINE Unterhaltung aus dieser Woche ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Darin hat eine Schwester mir gegenüber geäußert, dass sie Stephanie mittlerweile so einschätzt, als würde sie am liebsten gleich mal aufstehen und loslaufen wollen … genau das denke ich auch! Die mittlerweile über 100 Tage in der Rehaklinik dürften unserem freiheitsliebenden Kind sicherlich sehr auf den Keks gehen, wenn sie derzeit tatsächlich bei klarem Verstand sein sollte. Leider erfährt man so etwas bei Patienten im aktiven Wachkoma immer erst im Nachhinein.
Neben der im letzten Blogeintrag beschriebene Positionierung im Sitzbett hat man nun erneut etwas Neues ausprobiert und auch das scheint Stephanie wohl zu mögen. Sie wird dabei mit vier Personen (!) aufgerichtet und von diesen an der Bettkante sitzend stabilisiert – einer an den Beinen, jeweils einer rechts und links von ihr sowie Nummer 4 von hinten stützend.
Und dass sich die Zeiten steigern (20 min … 25 min …) und Tage später sogar zeitgleich Therapiemaßnahmen mit durchgeführt wurden (10 min Entblocken), ist für mich ein weiteres Zeichen dafür, dass meine Kleine in dieser Rehaklinik sehr gut aufgehoben ist und dass das gesamte Personal auch sehr viel zum Genesungsprozess ihrer anvertrauten Patienten beisteuert. Wohl gemerkt: die mindestens vier Personen sind die ganze Zeit des Aufrechtsitzens anwesend und das Entblocken wird sicherlich erst durch weitere anwesende Therapeuten möglich. Dafür bin ich dem gesamten Klinikpersonal sehr sehr dankbar – ihr macht wirklich einen ganz tollen Job!!! Und gestern hat man sogar die nächste Aktion bezüglich an der Bettkante sitzen extra auf meine Besuchszeit gegen 18 Uhr gelegt – vielen lieben Dank!
Beim Thema Entblocken (siehe Grafik auf der Webseite – der kleine Ballon unten rechts im obigen Foto ermöglicht das Auf- und Abpumpen) zeigen sich ebenfalls sehr gute Entwicklungen und man denkt auch dabei schon an erweiternde Maßnahmen. Die Zeiten steigern sich in kleinen Minutenschritten (derzeit max. 45 min) und die Häufigkeit wurde auf bis zu zweimal pro Tag erhöht, um insbesondere ihre Schluckübungen durchzuführen. Mit speziellen Aufsätzen übt man zudem das „Tönen“ (leichte Laute der Stimmbänder, da Luft an ihnen vorbeiziehen kann) und das Atmen durch Mund und Nase (manuelles Verschließen der Öffnung am Hals). Ja, letzteres ist für uns eigentlich eine Selbstverständlichkeit, aber bei Stephanie kamen die oberen Muskeln nun wochenlang nicht zum Einsatz, sodass sie doch erst wieder richtig angelernt werden müssen – anfänglich mit Intervallen von 2-3 Minuten.
Geschmack und Geruch werden während des Entblockens ebenfalls wieder etwas animiert, z.B. mit ihrem Lieblingsparfüm, bei dem sie das Gesicht erst einmal etwas „verzogen“ hat … entweder weil sie etwas erkannte oder weil sie plötzlich wieder einen so starken Geruch wahrnehmen konnte. Für die bislang noch ausstehenden Geschmackstests wird man etwas in Gaze einwickeln und ihr in den Mund zum Ertasten, Ankauen und Saugen geben – mit Heruntergeschlucktem kann der Magen wiederum ja noch nichts anfangen. Und was bietet sich da bei Stephanie besser an als Dosenmais, gell? Heute nahmen wir dafür auch noch eine Mandarine mit, denn durch die freiwerdende Säure dürfte der Speichelfluss ebenfalls sehr gut angeregt werden. Wir sind alle sehr auf das Ergebnis und ihre Reaktionen gespannt – kommenden Woche wissen wir mehr.
Etwas zu meckern gibt es aber leider auch: die Häufigkeit ihres Schluckens ist wohl immer noch nicht zufriedenstellend. Doch dann passieren wieder all die besonders positiven Dinge:
- Stephanie atmet schon die ganze Woche 24/7 ohne Maschine, es gab keine weiteren Rückschläge oder Einwände dagegen
- das Präparat Gabapentin ist komplett abgesetzt, denn die Wechselwirkungen mit ihrem übrigen Medikamentencocktail war einfach zu groß
- das Kind hält teilweise schon während meiner gesamten Besuchszeit die Augen auf
- es scheint ihr noch jemand anderes vorzulesen, denn im Zimmer liegt das Buch „Die magische Kugel – Märchenbuch Berliner Kinder“, welches nicht von mir mitgebracht worden ist
Apropos Augen auf … ich halte ihr immer wieder mal Fotos hin und erkläre, wer oder was darauf zu sehen ist. Für eine kurze Zeit scheint sie auch daran interessiert zu sein und etwas genauer hinzugucken – naja, ganz viel Spielraum für Interpretationen
Letztens versuchte ich auch mal mit ihrer Brille, die neben ihr auf dem Nachtschränkchen lag:
Und wenn sie im Sitzbett ist und dadurch einen freien Blick auf die Fotopinnwand bekommt, scheint es für mich so, als wenn sie auch hier immer wieder mal etwas genauer hinguckt:
Eines mag sie aber definitiv nicht und das ist, auf der linken Seite zu liegen. Zwar bemüht sich das Klinikpersonal sehr, sie mit Hilfe von Kissen, Kuscheltieren & Co. zu einem längeren Verbleiben in dieser Position zu zwingen, aber mit einem beständigen Wubbeln und Ruckeln schafft sie es dennoch immer wieder, sich über kurz oder lang zurück auf den Rücken zu drehen. Diese Bewegungen führt sie also irgendwie doch schon recht bewusst durch.
Und eines mag sie ganz besonders: von den Miltitzern gibt es eine Sprachaufnahme mit dem Schnurren des Katers Paule. Wenn sie den hört, sinkt die Herzfrequenz im Nu – immer! Einmal war ich dabei, als ihr die Handorthesen angelegt wurden und laut Überwachungsmonitor ging die Herzfrequenz auf bis zu 160 hoch. Ich spielte dann nur einmal kurz den Kater ab und schwupp, war sie wieder runter auf 120. Diese Wunderwaffe geht einfach immer
Insgesamt vermittelt Stephanie inzwischen einen sehr viel wacheren Eindruck. Man reduziert auch weiterhin peu á peu ihre Medikamente und nun macht sie schon das, worauf wir von Anfang an gewartet haben – sie fokussiert (wenigstens ein ganz klein wenig) und folgt zumindest eine Zeit lang den Bildern, Gegenständen und manchmal auch Menschen. Noch ist diese Zeitspanne wirklich recht klein, aber ich freue mich dennoch wie ein Schneekönig darüber! Vor allen Dingen finde ich es richtig toll zu sehen, dass es immer weiter vorwärts geht … und das Tag für Tag und Woche für Woche. Mein nächster großer Wunsch ist, dass wir uns in irgendeiner Weise wenigstens über ein „ja“ und „nein“ verständigen können. Noch ist ihre Zustimmung oder Ablehnung nur durch die Körpersprache zu erraten: sie dreht ihren Kopf zur anderen Seite, presst die Lippen zusammen oder reagiert einfach mit erhöhter Herzfrequenz, wenn ihr etwas nicht passt. Aber ich übe weiterhin tagein-tagaus geduldiger zu sein kommt Zeit, kommt Rat. Oder wie meine Freundin Barbara weise sagt: „budjet, budjet“ (russisch: es wird schon). Ich muss nur noch etwas mehr das (Ab-)Warten lernen
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